Aus unserer Geschichte
Nachdem wir beschlossen hatten, unserem
Engagement für "gutes Bauen", wie wir abkürzend - umfassend - sagen, die Form
eines Vereins zu geben, haben wir uns nach einem geeigneten Platz umgeschaut,
wo er angesiedelt werden könnte.
Gefunden haben wir die spektakulärste Kalk-Anlage überhaupt: die
Industriebrache im Museumspark Rüdersdorf zwischen Berlin und Frankfurt.


Der Geschäftsführer hat die Initiatorin
eingeladen, hat die Mitgliedschaft beantragt, und wir haben sofort mit der
Planung unserer Aktivitäten begonnen.
Gegründet wurde der Verein im August 2014, und bereits für November hat uns die Handwerkskammer Berlin-Brandenburg zur Beteiligung an ihrem Stand auf der Leipziger Messe "denkmal" eingeladen.
Große Begeisterung! Das ökologisch arbeitende Baugeschäft Franke aus Frohburg hat uns eine komplette Baustelle gespendet, damit wir richtig arbeiten konnten – und das wurde von den überraschten Messebesuchern mit freundlicher Zustimmung honoriert…!

"Zahlreiche Besucher haben für Leben auf der
Baustelle gesorgt. Hier (Bildmitte hinten) erklärt der Malermeister Fuchs aus
Thüringen, was ihm besonders an der japanischen Arbeitsweise aufgefallen ist."

"Die Landesregierung lässt sich über den
Verein Kalknetzwerk e. V. informieren."
Unterdessen arbeiten die Handwerker weiter an ihren Mustertafeln, erklären ihre Arbeitsweisen und beantworten die Fach-Fragen der zahlreichen Besucher.

"Kyle legt einen traditionellen
japanischen Feinputz an. Zwischendurch musste er immer wieder seine Auswahl
hochgeschätzter japanischer Werkzeuge zeigen (links im Bild)."

Auch sein italienischer Kollege arbeitet an einem für sein Heimatland typischen Putz.
Die Stuttgarter
Künstlerin Rik Beck nutzt die besonderen Eigenschaften von Kalk für ihr
vielgestaltiges Werk. Hier sind Beispiele ihrer "portablen Fresken" zu sehen. www.rikbeck.de

Dem Gesamtstand ist die Anerkennung in Gold verliehen worden – und wir waren dabei…!
Auch nach der Messe ging es lebendig weiter. Zwar konnten wir die für den Museumspark vorgesehenen Handwerker-Kurse nicht durchführen, weil dafür noch die nötigen baulichen Strukturen fehlten. Mit der von der Handwerkskammer Frankfurt zugesagten großzügigen Unterstützung sollte es aber bald möglich werden.
Für Praxis hat dagegen Egidio in Italien gesorgt: Er hat zwei hochmotivierte schwäbische Stuckateur-Lehrlinge zu einem Praktikum in seiner Werkstatt eingeladen. Ihr Fazit: Wir haben so Großartiges gelernt – wie schade, daß es zu wenige Kunden dafür gibt…!
Auch am Vereinssitz waren junge Menschen
aktiv: Am Tag des Offenen Denkmals 2015 haben Jugendliche aus der Umgebung
interessierte Besucher durch den Park geführt und unsere Vereinsarbeit erklärt.



Dann begann die Bürosaison – der Winter. Es gab viel zu tun, denn das Jahr 2016 stand bevor – Messejahr!
Aber vor dem Messe-Herbst hat erst noch der Sommer seine Anforderungen gestellt, und für den hatten wir uns etwas ausgedacht, was zu einem echten Highlight geriet.
Unsere August-Veranstaltung hat allgemein große Freude gemacht und ist von den Menschen in und um Rüdersdorf sehr gut aufgenommen worden; viele haben sich bei uns bedankt.
Organisiert hatten wir eine gemeinschaftliche Kunstaktion im Museumspark: Russische und deutsche Künstler haben drei Wochen auf dem weiten Gelände der Industriebrache gewohnt und diese ungewöhnliche Umgebung auf sich wirken lassen.
Die Eindrücke und Erfahrungen dieser Kunst-Klausur haben sie in ihren Werken verarbeitet und sie dem interessierten Publikum in einer fröhlichen Vernissage präsentiert.
Zwei Monate später begann unsere nächste "denkmal", wieder gemeinsam mit der Handwerkskammer. Wir hatten uns für ein minimalistisches Ausstellungskonzept entschieden und das Schwergewicht auf Experten-Berichte aus drei Ländern gelegt. Unser Mitglied Museumspark hat separat rustikale Holzarbeiten aus dem östlichen Brandenburg gezeigt.
Eine chinesische Wissenschaftlerin, ein baltischer Kalkproduzent und eine deutsche Architektin haben in interessanten Vorträgen Bautraditionen und Bauprojekte in fernen Kulturen vorgestellt.
Unser chinesischer Gast, die Architekturhistorikerin Dr. Yan Liu, hat uns ein großes Geschenk gemacht: Sie wollte nicht einfach eine interessante Mini-Brücke ausstellen, sondern hat - zu unserer Freude - angeboten, auf unserem Messestand vor den Augen der staunenden Besucher das Modell einer traditionellen südost-chinesischen Gewebebogen-Brücke zu konstruieren.
So wurden wir also tatsächlich Zeuge vom WEBEN einer Brücke…!

Dr. Yan Liu hat über traditionelle chinesische Brücken promoviert und war damit natürlich DIE berufene Expertin, uns die umfassendsten aktuellen Forschungsergebnisse zu präsentieren.

In ihrem Vortrag hat Frau Liu alle Aspekte der Thematik dargestellt, den
geografischen, historischen, kulturellen und natürlich den konstruktiven Aspekt.
Das
Deutsche Museum in München hat sechs ihrer Brückenmodelle übernommen; zwei
davon sind ständig ausgestellt. Online sind alle hier zu sehen:
https://digital.deutsches-museum.de/de/digital-catalogue/hitlist/?searchTerm=gewebebogenbr%C3%BCcken

Frau Dr. Liu lehrt an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung einer Universität in Yunnan und arbeitet zur Zeit (2024) an zwei Büchern zu den Themen Schreinerarbeit und Brückenbau.
Wir wünschen dazu viel Freude und Erfolg – und vielleicht gibt es ja mal wieder eine gemeinsame Messe…!

Sehr engagiert und anschaulich hat auch unser estnisches Mitglied von seiner Arbeit berichtet. Als das letzte Kalkwerk auf der Insel Ösel vor der Schließung stand, hat es Priit Penu übernommen, um die Tradition weiterzuführen.
Er hat den Betrieb saniert, acht alte Öfen (teilweise fast 100 Jahre alt) installiert und stellt nun auf altbewährte Weise hochwertige Kalkprodukte her, die in vielen Ländern geschätzt werden, ganz besonders von verantwortungsbewussten Restauratoren.
Aber es geht nicht nur um Produktion: Was Priit am Herzen liegt, ist ein Gesamtkonzept, bei dem Werte im Zentrum stehen, gewachsene Kultur, Zukunft, Natur. Und das setzt er differenziert und phantasievoll in seinen Gestaltungen um.

Um seinen Betrieb herum hat er einen Kalkpark angelegt, wo er bei Führungen die einzelnen Arbeitsschritte erklärt, dazu gehören auch Experimente zur Kalk-Chemie. In einem Film zeigt er, was vor Ort nicht zu sehen ist.
Er fordert auch zur kreativen Beteiligung auf. So hat er diesen Sommer (2024) Studenten aus Belgien, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Schweden eingeladen, sich intensiv mit Kalk zu beschäftigen und seinen Weg vom Stein bis zum Kunstwerk praktisch nachzuvollziehen.
Noch eine weitere sehr alte Tradition hat Priit wieder aufleben lassen und für heute weiterentwickelt: Die Gewinnung von Pech aus Kiefern und Birken – doch das wäre ein anderes Kapitel, und das schreiben wir später einmal.
Damit war das Vereins-Jahr 2016 noch nicht zu Ende. Eine große Überraschung kam kurz vor Weihnachten: Die deutsche UNESCO-Kommission hat mitgeteilt, dass unser Gesuch angenommen worden sei. Nun ist also die traditionelle Zubereitung von Mörtel und seine Anwendung im nationalen Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes eingetragen!

Daß dieses Ereignis den Schlusspunkt hinter die erste – so aktive – Epoche unserer Geschichte setzen würde, das konnten wir damals nicht ahnen.
Es war so ein reiches Jahr für unseren Verein! Wir konnten es in Dankbarkeit und Freude beschließen, und wir durften auch ein bisschen stolz sein.
Ja und danach… da kamen die "dürren Jahre"… Nach einer Zwangspause haben wir einen Reaktivierungs-Versuch gemacht, aber erfolglos. Aufgrund der unguten Situation sind viele Mitglieder ausgetreten, und lange Zeit konnten wir keine Perspektive aufzeigen.
Endlich - letztes Jahr, 2023, schien sich die erhoffte Wende hin zu neuen "fruchtbaren Jahren" anzubahnen, aber sie ging in eine Richtung, die nicht den Gründungs-Intentionen entsprach. Die Konsequenz: Der Verein Kalknetzwerk e. V. ist aufgelöst, und der Verein Lithosphäre e. V. ist gegründet – Neubeginn!